Die zunehmende Militarisierung Europas
von Tobias Pflüger (IMI - Informationsstelle Militarisierung, Tübingen)
Die EU-Militarisierung soll im Folgenden im Zusammenhang mit zwei weiteren
Themen betrachtet werden: Zum einen die Entwicklung der Bundeswehr und
zum zweiten die Entwicklung der NATO. Auf der sogenannten Geberkonferenz
der Europäischen Union am 20. November wurde etwas ganz Spezielles
geboten, nämlich Soldaten. Soldaten für eine zukünftige
Interventionstruppe der Europäischen Union, die derzeit einen Umfang
von 60.000 Mann und Frau hat (zur Aufteilung der Soldaten auf die einzelnen
Länder siehe Tabelle). Da zu wurden über 100.000 Soldat/inn/en
von den EU-Staaten und (osteuropäischen) EU-Beitrittskandidaten zur
Verfügung gestellt. Von besonderem Interesse bei dieser EU-Truppe
ist, dass es keine eigenständige Truppe ist, sondern das sie jedes
mal für entsprech ende Interventionen zusammengestellt werden wird.
Der Anteil der Bundesrepublik an dieser EU-Interventionstruppe übersteigt
die Kontingente von allen anderen Staaten: Mit ca. 18.000 Mann stellt die
Bundesrepublik ca. 20% der gesamten Truppe. Der deutsche E influß
auf diese Truppe drückt sich nicht nur durch den hohen Anteil aus,
sondern auch durch die Nominierung des deutschen Generals Rainer Schuhwirth
zum
Befehlshaber dieser Interventionstruppe. Man kann also durchaus die
Schlußfolgerung ziehen, das die zu künftige EU-Interventionstruppe
eine Truppe ist, die unter maßgeblichem deutschem Einfluß steht.
Eine zweite Festlegung, die auf der genannten Geberkonferenz beschlossen
wurde, ist der Aktionsradius für den Einsatz der künftigen EU-Truppe.
Danach soll
die Truppe in einem Radius von 4.000 km (!) rund um die Europäische
Union eingesetzt werden. Die „Welt“ schreibt hierzu, dass die Europäische
Union "eine neue Superarmee für schwer bewaffnete Militäreinsätze
in einem Radius von 4.000 km um Brüssel. Das schließ t weite
Teile Afrikas, den Nahen Osten und den Kaukasus ein."
Warum eine eigenständige EU-Interventionstruppe?
Im Verlauf des völkerrechtswidrigen NATO-Angriffskrieges gegen
Jugoslawien im März 1999 ist deutlich geworden, dass bei militärischen
Interventionen oder Kriegseinsätzen immer auf bestimmtes US-Equipment
zurückgegriffen werden musste, so z.B. bei Satelliten. Um sich militärpolitisch
selbständiger zu machen, wurde unter dem neuen Generalinspekteur der
Bundeswehr, Harald Kujat, beschlossen ein eigenes deutsches Satellitenprogramm
zu starten. Derartige Projekte müssen in
Zusammenahng mit der allgemeinen Entwicklung betrachtet werden: Bundesaußenminister
Joschka Fischer sprach einmal davon, dass nach der Wirtschafts- und Währungsunion
der nächste große Schritt die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik
sein müsste. Es findet ein grundlegender Paradigmenwechsel innerhalb
der Europäischen Union statt, denn
die Europäische Union war bisher eine Wirtschaftsgemeinschaft
und zukünftig soll sie zunehmend eine Militärmacht werden. Diese
Umorientierung stellt eine Militarisierung Europas dar, eine Militarisierung,
die unter Führung der Bundesrepublik stattfindet. Joschka Fischer
hat diesen Prozeß in seiner Rede an der Berliner Humboldt-Universität
als eine Entwicklung vom Staatenverbund zur Föderation beschrieben.
Für ihn ist es notwendig, dass es dabei ein "Gravitationszentrum"
innerhalb der Europäischen Union gibt, welches die Avantgarde, "die
Lokomotive für die Vollendung der politischen Integration", darstellt
und "bereits alle Elemente der späteren Föderation" umfasst.
Letztendlich ist dies nichts anderes als das 19 94 von Wolfgang Schäuble
und Karl Lamers formulierte Kerneuropa - quasi ein Kerneuropa in grün
nur deutlich militärischer.
Die Neuausrichtung der Bundeswehr
Die Zunehmende Militarisierung der Europäischen Union steht im
Einklang mit der Umrüstung bzw. der Neuausrichtung der Bundeswehr.
Auf der einen Seite sind die Entwicklungen bei der Bundeswehr durch eine
quantitative Abrüstung gekennzeichnet, die sich vor a llem durch die
Reduzierung des Personalumfangs ergibt. Doch dies ist keine richtige Abrüstung,
denn de facto findet eine gewaltige Umstrukturierung innerhalb der Bundeswehr
statt. Die früheren Krisenreaktionskräfte, die damals etwa 53.600
Mann umfassten, n ach dem grundgesetzwidrigen Krieg gegen Jugoslawien auf
ca. 60.000 aufgestockt wurden, sollen nach der Grobausplanung des Bundesverteidigungsministeriums
auf eine Gesamtgröße von etwa 150.000 Mann und Frau anwachsen.
Damit werden genau jene Kräfte, mit den en künftige Kriege geführt
werden können, auf das Dreifache aufgestockt. Es findet also eine
qualitative Aufrüstung der Bundeswehr statt, die eine Neuausrichtung
auf Angriffs- und Interventionskriege, wie es das Beispiel gegen Jugoslawien
gezeigt hat, impl iziert. Dies ist auch die Kernfrage der zukünftigen
deutschen Militärpolitik und nicht die Wehrpflicht. Obwohl meines
Erachtens die Wehrpflicht ein wesentlicher Aspekt bei der Frage nach dem
Einfluss der Bundeswehr innerhalb der EU-Truppe darstellt. Mein V erdacht
ist, dass mit der Masse an Armee auch ganz bewußt Politik gemacht
wird, auf diesem Weg "untermauert den Anspruch der Bundesrepublik, die
europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu prägen"
(FAZ).
Die rot-grüne Bundesregierung hat, entsprechend der Koalitionsvereinbarung
vom Oktober 1998, eine Kommission „Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der
Bundeswehr“ unter dem Vorsitz des ehemaligen Bundespräsidenten Richard
von Weizsäcker eingesetzt. Eine Grund voraussetzung um in diese Kommission
zu kommen war die grundsätzliche Akzeptanz der neuen Bundeswehr und
der neuen NATO. Es war also unmöglich für diejenigen, die militärkritische
oder antimilitaristische Positionen vertreten, in die Kommission zu kommen.
Darüber hinaus war diese Kommission keine Parlamentskommission sondern
eine Regierungskommission, d. h. es war auch nicht möglich, dass auf
parlamentarischem Weg, z. B. über die PDS, kritische Positionen in
die Kommission gelangen konnten. Wenn man sich da nn noch die Liste der
Gäste, die von der Kommission angehört wurden, anschaut, wird
klar, dass hier nur auf ein ganz bestimmtes Spektrum zurückgegriffen
wurde. Parallel zu der Kommission wurde innerhalb des Militärs ein
Papier erarbeitet, das Kirchbach-Pap ier, versehen mit der Vorgabe, es
muss bei der Wehrpflicht bleiben und gleichzeitig eine Ausrichtung in Richtung
Interventionsarmee vorgenommen werden. Als die das Krichbach-Papiere und
der Kommissionsbericht vorlagen sollte eigentlich eine öffentliche
Debatte über die Bundeswehr geführt werden. Doch bereits nach
eineinhalb Wochen hat Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping das
verbindliche Eckpunkte-Papier vorgelegt und verkürzte die Auseinandersetzung
über die zukünftigen Aufgaben und die Ausrichtung der Bundeswehr
auf sage und schreibe eineinhalb Wochen.
In dem Bericht der Weizsäcker-Kommission heisst es: „Die Aufgaben
der Bundeswehr haben sich völlig geändert. Die Bundeswehr wird
vornehmlich außerhalb Deutschlands eingesetzt werden, entweder zur
kollektiven Verteidigung eines Bündnispartners, oder was wahrscheinlicher
ist, zu regional begrenzten Einsätzen der Krisenvorsorge und Krisenbewältigung.“
In den Schlussfolderungen ist dann unter anderem zu lesen: „Die Kommission
empfiehlt Fähigkeiten, Strukturen und Umfänge der Bundeswehr
primär aus der Eignung zu Kriseneinsätzen abzuleiten. Die Orientierung
auf Kriseneinsätze erfordert eine grundsätzlich neue Bundeswehr.“
Diese Formulierungen machen deutlich, der Mythos einer Armee zur Landesverteidigung
hat sich erledigt, es geht hauptsächlich um Interventionseinsätze
oder Besatzungseinsätze in anderen Ländern. Ein Bruch des bestehenden
Grundgesetzes, welches einen defensiven Charakter vorschreibt, wird dabei
in Kauf genommen. Die militärische Neuausrichtung wird im Kirchbach-Papier
auf den Punkt gebracht, dort heißt es:
„Streitkräfte werden sich in Zukunft auf ihre militärischen
Kernfunktionen konzentrieren.“ Was sind militärische Kernfunktionen,
was kann nur Militär?
Bundespräsident Johannes Rau hat auf der Kommandeurstagung bemängelt,
dass die Bundeswehr im Einsatz zu viele zivile Aufgaben übernimmt.
Auf der anderen Seite werden gerade die nichtmilitärischen Aufgaben
der Bundeswehr immer wieder gerühmt, so z. B. von d em ehemaligen
KFOR-Kommandanten Klaus Reinhardt. Wie soll in Zukunft die Bundeswehr "verkauft"
werden, wenn sie sich auf ihre militärischen Kernfunktionen konzentriert?
Wenn nichtmilitärische Aufgaben wegfallen, fallen gleichzeitig die
Akzeptanzbereiche we g, die bisher immer eine Legitimation für die
Bundeswehr waren. Die militärischen Kernfunktionen heißen dann:
Kämpfen, Krieg führen, Töten.
Die NATO wird zum Interventionsbündnis
Die Neuausrichtung der Bundeswehr steht in einem engen Kontext mit den
Entwicklungsprozessen innerhalb der NATO. Die NATO hat am 24. April letzten
Jahres eine neue Strategie verabschiedet, wonach sich die NATO für
zukünftige Militäreinsätze selbst ein Mand at gibt, die
sogenannte Selbstmandatierung. In dem NATO-Strategiepapier heißt
es hierzu: „In
diesem Zusammenhang erinnert das Bündnis an seine späteren
Beschlüsse in bezug auf Krisenreaktionseinsätze auf dem Balkan.“
Diese Formulierung beinhaltet einen Vor ratsbeschluss und gibt gleichzeitig
einen Hinweis darauf, das der Krieg gegen Jugoslawien ein Muster für
zukünftige Kriege darstellt. In Jugoslawien hat man einen Testlauf
durchgeführt, man hat dort die zukünftige NATO-Strategie vor
deren Verabschiedung ge testet. Daher muss man mit dem Mythos aufräumen,
dass der Krieg gegen Jugoslawien eine einmalige Ausnahme war. Nein, er
war der erste Krieg eines neuen Kriegstypus, nämlich des Kriegstypus
der neuen NATO.
Ein weiterer wesentlicher Punkt an der neuen NATO-Strategie ist die
Festlegung auf sogenannte nicht Artikel 5 Krisenreaktionseinsätze.
Artikel 5 bezoeht sich auf das NATO-Statut und besagt, dass ein Angriff
auf ein Land der NATO als ein Angriff auf das ges amte NATO-Bündnis
verstanden wird. Wenn nun nicht Artikel 5 Krisenreaktionseinsätze
geplant werden, so heißt dies nichts anderes als Angiffskriege.
Der dritte Punkt ist die Herausbildung kleiner, kampforientierter Truppen,
Vorboten in Deutschland sind die Elitekampftruppe Kommando Spezialkräfte
(KSK) und die neue Divion Spezialoperationen (DSO).
Schlussfolgerungen für die Friedensbewegung
Die Friedensbewegung muss dieser zunehmenden Militarisierung entschieden
entgegen treten. Unser Nein muss dem weiteren Ausbau der Kriegsführungsfähigkeit
gelten und beinhaltet eine klare Absage an den Ausbau der Interventionsfähigkeit.
Denn wenn die militä rischen Instrumentarien einmal vorhanden sind,
dann ist es nur eine Frage der
Zeit wann sie eingesetzt werden.
Die hier skizzierte Militarisierung und der damit verbundene Paradigmenwechsel
wird in der Bevölkerung nur marginal wahrgenommen. Die Aufgabe der
Friedensbewegung muss daher sein, immer wieder auf diese Sachverhalte aufmerksam
zu machen und sie in die öffe ntliche Debatte zu bringen.
Ich schlage folgendes Vorgehen vor: Wir müssen sowohl erste nachvollziehbare
Schritte, als auch unsere Ziele klar formulieren. Mit diesem Schritt/Ziel-Vorgehen
erreichen wir viele Menschen, können Bündnispartner gewinnen
und sagen zugleichwohin unser Weg sc hlußendlich gehen soll. Konkret
bedeutet dies, daß wir zuerst die Ablehnung der neuen NATO- Strategie
fordern könnten, Zielforderung ist hier die Auflösung des "Unsicherheitsbündnisses"
NATO. Bzgl.Bundeswehr könnte der erste Schritt die Auflösung
der (krie gsfähigen) Einsatzkäfte sein. Ziel ist hier die Auflösung
der Bundeswehr. Unser NEIN gilt zunächst der weiteren Militarisierung,
dazu zählt die völkerrechtswidrige NATO-Strategie,genauso wie
der Aufbau der EU-Interventionstruppe und die Umwandlung der Bund eswehr
zur Interventionsarmee. Uns muss es darumgehen, dass wir die öffentliche
Auseinandersetzung über die zukünftige Militärpolitik
wach halten. Ein Ansatz dazu könnte hierzu der von IMI initiierte
Aufruf "Kriege verhindern, deshalb jetzt Einsatzkräfte auflösen"
sein.
Dies ist der Vortrag von Tobias Pflüger auf dem bundesweiten Friedensratschlag
in Kassel in der von von Bernd Guß (Friedens- und Zukunftswerkstatt
Frankfurt a.M.) bearbeiteten Version. Der Artikel wurde abgedruckt in der
"Friedenspolitischen Korrespondenz" Nummer 4, Dezember 2000.
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