PROZESS
/ Aufruf zur Fahnenflucht nicht strafbar
Strafbefehl aufgehoben
Freispruch für den Tübinger Pazifisten
Tobias Pflüger. Sein Aufruf zur Fahnenflucht im Kosovo-Krieg war nicht
strafbar.
RAIMUND WEIBLE
TÜBINGEN· Tobias Pflüger,
inzwischen einer der prominentesten Pazifisten des Landes, hatte im vergangenen
Jahr während des Kosovo-Kriegs wiederholt die Soldaten aufgerufen,
die Waffen niederzulegen und zu desertieren. Das brachte ihm einen Strafbefehl
in Höhe von 3500 Mark ein.
Richter Eberhard Hirn kassierte gestern
den von ihm selbst unterzeichneten Strafbefehl. Nach dreistündiger
Verhandlung vor dem Amtsgericht Tübingen verkündete er, der Politikwissenschaftler
und Chef der Informationsstelle Militarisierung gehe trotz des Aufrufs
zur Fahnenflucht straffrei aus. Der Richter begründete das Urteil
damit, Pflüger sei ein ¸¸unvermeidbarer Verbotsirrtum''
unterlaufen.
Der Angeklagte hatte seine Aufrufe zur
Desertion damit gerechtfertigt, der Krieg der NATO gegen Jugoslawien sei
nach Ansicht vieler Fachleute ein Verstoß gegen das Völkerrecht
und gegen das Grundgesetz gewesen. Er habe daher verhindern wollen, dass
die Soldaten Straftaten begehen. Hirn machte sich diese Argumentation zwar
nicht zu eigen, hielt sie jedoch für vertretbar.
Hirn begründete auch, warum er in
der Hauptverhandlung zu einem anderen Schluss kam als in der Strafbefehlssache
vor einem halben Jahr. Damals habe er rein nach Aktenlage entschieden,
in der Verhandlung habe Pflüger aber weitere Argumente zu seiner Verteidigung
geliefert.
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