Bericht IMI-Kongress:
Modernisiert in den nächsten Krieg?
3. IMI-Kongreß
Modernisiert in den nächsten
Krieg?
Dritter Kongreß
der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. u.a. über die Bundeswehr
2000
Der dritte jährlich stattfindende
Kongreß der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. führte
fast 60 Menschen aus der ganzen Republik am Wochenende 25./26.11. in Tübingen
zusammen, um mit Fachleuten insbesondere über die neue Bundeswehr
2000 zu diskutieren. Weitere Themen waren je ein Workshop zu Militärritualen,
zur Konfliktregion Kaukasus und zu Israel/Palästina.
Bruch des Grundgesetzes - Gegen Interventionsarmee
Nicht mehr der im geänderten Grundgesetz
von 1956 verankerte Verteidigungsauftrag der Bundeswehr, sondern ein Interventionsauftrag
stehe im Mittelpunkt der neuen Ausrichtung der Bundeswehr, betonte der
ehemalige Flotillenadmiral der Bundeswehr Elmar Schmähling auf der
Abendveranstaltung des IMI-Kongresses in Tübingen. In der Öffentlichkeit
werde dieser Systembruch, der allerspätestens mit dem völkerrechts-
und grundgesetzwidrigen NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien vollzogen
wurde, viel zu wenig wahrgenommen. Die Abkehr vom Konzept der Landesverteidigung
und die Ausrichtung auf Kriegsfähigkeit für strategische Interessen
und enger werdende Ressourcen bewirke in der Bundeswehr eine Zunahme elitärer
Professionalisierung. Diese Bundeswehr habe mit der Bundeswehr, in der
er gedient habe, nur noch wenig zu tun, Schmähling sagte, er fühle
sich betrogen, es gehe der Bundeswehrführung nicht mehr um Verteidigung.
Die Reduzierung der Größe der
Bundeswehr und die Wehrpflicht seien nicht die Kernfragen der überfälligen
öffentlichen Debatte über die Bundeswehr, betonte Tobias Pflüger
von der Informationsstelle Militarisierung auf dem gleichen Werkstattgespräch,
das vom freien Journalisten Martin Prösler moderiert wurde. Die Kernfrage
der Bundeswehr sei: Soll es eine Bundeswehr zur (Angriffs-) Kriegsführung,
also eine Interventionsarmee geben? Tobias Pflüger beschrieb, daß
die derzeitige Truppenstärke bei 320.000 Mann und Frau liege, die
Gesamtstärke solle in der Zielgröße auf 277.000 (effektiv
255.000) reduziert werden. Zugleich soll der Anteil der Einsatzkräfte
auf das fast Dreifache auf 150.000 aufgestockt werden. Diese wesentliche
Aufstockung der Einsatzkräfte, die Herausbildung verschiedener Divisionen
für Spezialoperationen und Luftbewegliche Operationen, die "Konzentration
auf militärische Kernfunktionen", die zunehmende Aktivität der
Bundesrepublik bei der Herausbildung einer eigenständigen EU-Truppe
(Deutschland stellt 18.000 von 60.000 Soldaten) und die neue NATO-Strategie
bedeuteten eine qualitative Aufrüstung. Unter Rot-grün erhöhen
sich nun der Gesamtmilitärhaushalt, der Anteil investiver Mittel des
Militärhaushaltes (für Beschaffungsmaßnahmen) jeweils sichtlich
und die Waffenexporte sehr deutlich.
Pflüger und Schmähling waren
sich absolut einig, daß es nun Ziel sein müsse, die Veränderung
der Bundeswehr zur Interventionsarmee zu verhindern. Das Grundgesetz sei
z.B. auch durch Einsätze des Kommando Spezialkräfte gebrochen
worden.
Militärrituale und "Zivilmilitärische
Zusammenarbeit"
Am Samstag hatte der IMI-Kongreß
mit Markus Euskirchen von der Zeitschrift "ami - antimilitarismusinformation"
über die Absicherung dieser Entwicklungen durch Militärrituale
diskutiert. Militärrituale wie Zapfenstreich oder Gelöbnis hätten
die Funktion, Soldaten z.B. auf die Bundeswehr "einzuschwören". Die
spezielle Funktion des Militärs, das Kämpfen werde so "erleichtert."
Der Tabubruch des Tötens werde durch Militärrituale vorbereitet.
Der IMI-Kongreß diskutierte am Sonntag
"zivilmilitärische Zusammenarbeit" anhand zweier Beispiele. Paul Schäfer
und Hendrik Bullens beschrieben die Planungen und Zielsetzungen der US-Army
und nachfolgend der Bundeswehr bei der Zusammenarbeit mit Wirtschaftsunternehmen.
Dabei wurde deutlich, daß Begriffe wie "lean management", "Outsourcing"
und "Teilprivatisierung" nun auch auf die Bundeswehr angewandt werden sollen.
Bei der Bewertung dieser Entwicklung wurden unterschiedliche Akzente gesetzt:
Paul Schäfer wies daraufhin, daß eine Einbeziehung der Wirtschaft
nicht automatisch eine Militarisierung der Gesellschaft bedeute. Es wurde
auch die Frage gestellt, ob die Bundeswehr mit der Privatisierung sich
nicht ein Kuckucksei ins Nest hole, das nicht zwangsläufig eine Effektivierung
der Bundeswehr bedeuten müsse. Tobias Pflüger betonte, daß
mit der Einbeziehung von Unternehmen weitere Bereiche der Gesellschaft
in Kriegsführung involviert würden.
Diskutiert wurde auch mit Arno Neuber und
Gerlinde Strasdeit (Stadträtin und Personalrätin am Universitätsklinikum
Tübingen) die Rahmenvereinbarung zwischen Deutscher Krankenhausgesellschaft
und Bundeswehr, in der eine Verzahnung von zivilen Gesundheitseinrichtungen
und Bundeswehr festgeschrieben ist. Militärisches Sanitätspersonal
wird in zivilen Krankenhäusern ausgebildet, die Bundeswehr nutzt medizinische
Technik, stellt Personal. Klinikpersonalräte und ÖTV kritisieren
eine mögliche Vereinnahmung von zivilen Beschäftigten für
militärische Aufgaben.
In Tübingen wurde - wie in ca. 60
Kliniken der Republik - ein solcher Vertrag unterzeichnet, wohl ohne daß
die Klinikleitung die volle Tragweite erkannte. In Karlsruhe ist eine speziell
auf die Einsatzkräfte ausgerichtete Rahmenvereinbarung wegen Widerstands
aus Friedensbewegung, Gewerkschaften und Beschäftigten noch nicht
zustande gekommen. In den Gemeinderäten von Tübingen und Karlsruhe
wurde eine mögliche Beeinträchtigung des kommunalen Versorgungsauftrages
thematisiert. Eine umfassende Gesundheitsversorgung für alle stünde
den militärischen Vorgaben im Sanitätswesen entgegen. Die militärischen
Vorgaben seien in erster Linie an der Einsatzfähigkeit der Truppe
orientiert.
Konfliktregion Kaukasus
Jürgen Wagner von IMI führte
mit einem Impulsreferat in das Thema "Konfliktregion Kaukasus" ein. Er
zeigte auf, wie insbesondere die USA (egal unter welcher Regierung) mit
der Forcierung bestimmter an Rußland und dem Iran vorbeiführender
Öl- und Gas-Pipelinerouten die Region (weiter) destabilisierten. Es
geht um die Möglichkeit, möglicherweise reichhaltig vorhandenes
Öl aus dem Bereich des Kaspischen Meeres über Pipelines z.B.
über die Türkei in die Nutzerländer, sprich insbesondere
westlichen Staaten, zu transportieren. Die NATO-Osterweiterung und das
NATO-Kooperationsabkommen "Partnerschaft für den Frieden" werden in
Militärkreisen immer wieder als Mittel genannt, um in der Region politisch
Einfluß und damit auch Zugang zum Öl zu erhalten.
Israel / Palästina
Zum aktuellen Konflikt in Israel / Palästina
referierte Claudia Haydt, die gerade von einem zweiwöchigen Aufenthalt
im Nahen Osten zurück war. Sie berichtete von konkreten Erfahrungen
auf palästinensischer und israelischer Seite. Sie wies hiesige Medienberichte
von Eltern, die ihre Kinder in die Auseinandersetzungen hetzten, deutlich
zurück und beschrieb, wie sie immer wieder genau das Gegenteil erlebte,
Eltern, die ihre Kinder daran hinderten Steine zu werfen. Sie sprach vom
Mythos Ehud Barak im Westen. Unter Barak haben die Siedlungen israelischer
Siedler
im besetzten Gebiet deutlich zugenommen. Haydt sprach sich neben einer
Kritik an direkter Gewalt auch insbesondere für ein Ende der strukturellen
Gewalt in der Region aus, d.h. ein Ende der Absperrungen, der allnächtlichen
(Kollektiv-)Bombardierungen palästinensischer Siedlungen durch israelisches
Militär und ein Ende der Sonderrechte israelischer Siedler im besetzten
Gebiet z.B. bei der Straßennutzung, der Wassernutzung und der Landnahme.
Sie überbrachte am Ende eine Botschaft
von der israelischen an die deutsche Friedensbewegung, nicht weiter zuzusehen,
die sie und Tobias Pflüger in Tel Aviv von Gush Shalom übergeben
bekommen hatten. Mitglieder der israelischen Friedens-Opposition erwarten
aus Deutschland einerseits historisches Gewissen und Zurückweisung
jeglichen Rassismus und Antisemitismus und andererseits Mut zur Position
gegen israelische Regierungs- und Siedlungspolitik. Tobias Pflüger
meinte, Israel schade sich mit seiner Politik selbst. Wer für Israel
sei, müsse in aller Deutlichkeit die Regierungs- und Besatzungspolitik
Israels kritisieren.
Neues IMI-Vorstandsmitglied und Kampagne
zur Auflösung der Einsatzkräfte
Auf der Mitgliederversammlung der Informationsstelle
Militarisierung, die sich direkt an den IMI-Kongreß anschloß,
wurde nach den Rechenschaftsberichten des bisherigen Vorstandes mit Andreas
Seifert und Tobias Pflüger, Jürgen Wagner, (Politikstudent aus
Tübingen) in den IMI-Vorstand nachgewählt.
Die Mitgliederversammlung beschloß
außerdem die Initiierung einer Kampagne zur Auflösung der Einsatzkräfte
der Bundeswehr. Auf der IMI-Mitgliederversammlung hieß es, daß
bisherige IMI-Ideen wie die nach "qualitativer Abrüstung" nun fortgeführt
würden, Ziel sei eine Angriffsunfähigkeit der Bundeswehr, angegangen
werden könne dieses Ziel mit der Initiierung einer Kampagne zur Auflösung
der Einsatzkräfte der Bundeswehr.
BS / TP
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