IMI-Aktuell-00-12-04
Mit Hochgeschwindigkeit
in Richtung Militärmacht Europa
von Tobias Pflüger
"Überall wo die Europäische
Union ist, herrscht Frieden", so mein Namensvetter Friedbert Pflüger
von der CDU, Vorsitzender des Europaauschusses im Bundestag am 01.06.1999
auf der Europakonferenz der nationalen Parlamente in Berlin. Wenn es bisher
überhaupt eine nach außen "friedliche" Europäische Union
gegeben haben sollte, so gibt es diese alte EU spätestens seit Montag
(20.11.) nicht mehr.
Der entscheidende praktische
Schritt hin zu einer Militarisierung der Europäischen Union und damit
zu einer neuen EU wurde am 20.11. in Brüssel von den EU-Außen-
und "Verteidigungs"-ministern vollzogen. Dort erklärten sich alle
EU-Staaten zusammen bereit, über 100.000 Soldat/inn/en sowie rund
400 Kampfflugzeuge und 100 Schiffe für eine ab dem Jahr 2003 einsatzfähige
EU-Truppe zu stellen. Die EU-Eingreiftruppe, die einsatzfähig dann
60.000 Soldat/inn/en haben soll, wird innerhalb von 60 Tagen zu Militäreinsätzen
von bis zu ein Jahr ausrücken können.
Interessant sind die Größenordnungen
der bekanntgewordenen Soldaten-Kontingente der einzelnen EU-Staaten: Österreich:
3.500, Belgien: 1.000, Großbritannien: 12.500, Finnland: 2.000, Frankreich:
12.000, Griechenland: 3.500, Irland: 1.000, Italien: 6.000, Luxemburg:
100, Niederlande: 5.000, Portugal: 1.000, Schweden: 1.500. Dänemark
beteiligt sich erfreulicherweise nicht an der EU-Truppe. Zu diesen Kontingenten
kommen noch Beiträge aus den europäischen NATO- (aber nicht EU-Staaten)
Norwegen und Island und sämtlichen 13 EU-Beitrittskandidaten (einschließlich
der Türkei) hinzu.
Deutschland stellt mit 18.000
Soldat/inn/en das mit Abstand größte Kontingent. Um 18.000 einsatzfähige
Soldat/inn/en zu haben, sind 30.000 notwendig, die extra dafür ausgebildet
werden. Von den 18.000 Soldaten kommen 12.000 aus dem Heer. Zugesagt sind
zudem 93 Kampf- , 35 Transport- und 3 Überwachungsflugzeuge, vier
Kampfhubschrauber und Einheiten der Marine. Der Befehlshaber der EU-Truppe
wird der deutsche General Rainer Schuwirth sein.
Um es klar zu formulieren:
Hier wird eine gefährliche europäische Interventionstruppe unter
deutscher Führung zusammengestellt für Militärinterventionen
(sprich Kriegseinsätze) im Einsatzradius von 4.000 km (!) rund um
die EU.
Der deutsche Außenminister
Joschka Fischer brachte den Verlauf der schnellen Entwicklung der Militarisierung
Europas in seiner Rede als damals amtierender Ratspräsident vor dem
Europäischen Parlament in Straßburg am 12. Januar 1999 auf den
Punkt: "Die kollektive Verteidigung wird weiterhin Aufgabe der NATO bleiben.
Aber die Europäische Union muss auch die Fähigkeit zu einem eigenen
militärischen Krisenmanagement entwickeln, wann immer aus Sicht der
EU ein Handlungsbedarf besteht und die nordamerikanischen Partner sich
nicht beteiligen wollen."
Dieser Aufbau einer EU-Truppe
passt zur Entwicklung „der neuen Bundeswehr Phase 2“ mit einer quantitativen
Abrüstung schlussendlich auf 255.000 Mann und Frau und einer qualitativen
Aufrüstung mit der Verdreifachung der Einsatzkräfte (früher
Krisenreaktionskräfte) von 53.600 auf 150.000. Mit diesen Einsatzkräften
kann Krieg geführt werden. Die Kriegsführungsfähigkeit der
Bundeswehr wird damit enorm gesteigert.
Den Zusammenhang zwischen
wirtschaftlicher und militärischer EU machte Staatssekretär Dr.
Walther Stützle aus dem deutschen Verteidigungsministerium auf dem
Symposium "Sicherheit, Menschenrechte & Stabilität in Europa und
der NATO" am 28. Juni 1999 im Haus der Industrie in Wien deutlich: "Die
Sache ist einfach: Eine Union, die sich nicht verteidigen kann, ist keine
Union. Eine harte Währung, die eine schwache Verteidigung hat, ist
auf lange Frist keine harte Währung. Daraus gilt es, die praktischen
Schlüsse für die Tagesarbeit zu ziehen, es gilt, die zwei Prozesse
miteinander zu harmonisieren und im Gleichgewicht zu halten."
Außenminister Joschka
Fischer hatte in seiner Rede ["Vom Staatenverbund zur Föderation -
Gedanken über die Finalität der europäischen Integration"]
am 12. Mai 2000 in der Humboldt-Universität in Berlin die Idee eines
Kerneuropa aufgegriffen, die ursprünglich einmal von Wolfgang Schäuble
und Karl Lamers von der CDU am 01.07.1994 in die Diskussion gebracht worden
war. Fischer nennt Kerneuropa nun aber "die Bildung eines Gravitationszentrums".
"Ein solches Gravitationszentrum müsste die Avantgarde, die Lokomotive
für die Vollendung der politischen Integration sein und bereits alle
Elemente der späteren Föderation umfassen." Jacques Chirac konkretisierte
Fischers Vorstellungen am 30. Mai 2000: In einer europapolitischen Grundsatzrede
betonte er, es müsse innerhalb der EU wie bei der "Tour der France"
eine "Spitzengruppe" geben, die schneller voranprescht. Nach Chiracs Ansicht
gebe es schon zwei positive Beispiele für diese "Spitzengruppe": 1.
Das Eurokorps, das im Kosovo kürzlich das Kommando der KFOR übernommen
hat und 2. die britisch-französische Initiative beim Gipfel in St.
Malo 1998 zu einer gemeinsamen europäischen Militärpolitik. Interessanterweise
waren das beides Beispiele aus dem Bereich der europäischen Militärpolitik.
Das „Gravitationszentrum“
zeichnet sich ab: Die Kernstaaten Deutschland, Frankreich und Großbritannien
sollen insbesondere in der europäischen Militärpolitik anfangen
Nägel mit Köpfen zu machen. Neben und in Kooperation mit dem
Interventions- und Kriegsführungsbündnis NATO baut die EU zusätzliche
Interventionsfähigkeiten auf. Nächste (Angriffs-)Kriege können
nicht mehr nur von der NATO „veranstaltet“ werden, ab 2003 steht dann auch
die EU (mit einer eigenen Truppe) zur Verfügung.
Ist diese Entwicklung noch
zu stoppen? Den entsprechenden politischen Willen vorausgesetzt, ist klar:
Keine Truppen für die EU-Militarisierung! Doch an die Substanz der
Militarisierung von EU, NATO und Bundeswehr geht nur die Forderung nach
Auflösung der (kriegsfähigen) Einsatzkräfte der Bundeswehr
als erstem Schritt.
Leicht gekürzt veröffentlicht
in „Neues Deutschland“ 25.11.2000
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