Hauptausgabe vom 07.09.2000 - Seite 005
DISKUSSION: Während des Nato-Einsatzes schwenkten
westliche Medien auf eine Linie ein - existiert serbischer Vertreibungsplan?
Kosovo-Krieg und Medien oder Was ist Wahrheit?
VON CHRISTIAN PICHLER
Im Frühjahr dieses Jahres sorgte Heinz Loquai, deutscher
Brigadegeneral a. D., für Aufsehen, als er mit dem Vorwurf an die
Öffentlichkeit trat, der deutsche Verteidigungsminister Rudolf Scharping
habe in Bezug auf die "Operation Hufeisen" gelogen. Im Juni musste Loquai
die OSZE verlassen, bei der er in Wien zuständig für die Balkan-Mission
war.
Durch den "Hufeisenplan" kippte die Stimmung im Westen
pro Krieg gegen das serbische Regime. Es handelte sich um einen Plan der
Belgrader Führung zur Vertreibung der albanischen Bevölkerung
aus dem Kosovo.
Gibt es diesen Plan?
Zumindest "große Zweifel" habe er, meint Loquai
in seinem Buch "Der Kosovo-Konflikt - Wege in einen vermeidbaren Krieg".
So hatte auch der damalige österreichische Verteidigungsminister Werner
Fasslabend im Juni 1998 eine parlamentarische Anfrage beantwortet, wonach
der Plan mitnichten existiere. Vielmehr sei er eine Darstellung der Ereignisse
aus westlicher Sicht. "Ohne Medien kein Krieg in Jugoslawien?", wurde am
Dienstag bei einer Podiumsdiskussion im Rahmen der Linzer Ars Electronica
gefragt. Nicht um Schuldzuweisungen gegen die Kriegsparteien ging es, sondern
um die Frage, wie demokratisch der Westen ist, wie sehr Medien ihre Aufgabe
als "vierte Gewalt" erfüllen können.
Loqai betont: "Ich sage nicht nur 39 Ermordete
von 1. bis 19. März 1999, aber es gab in dieser Zeit keine humanitäre
Katastrophe." Der Krieg begann am 24. März, unfassbare Zahlen in den
Medien, hunderttausende Flüchtlinge: "Kein Wort davon, dass sich darunter
gemessen am Bevölkerungsanteil mehr Serben als Albaner befanden."
Nach Ausbruch des Krieges war auch die journalistische
Front fast geschlossen. So musste ein Redakteur des Südwestdeutschen
Rundfunks seinen Hut nehmen, weil er wiederholt von einem "Angriffskrieg"
der Nato gesprochen hatte. Die "Frankfurter Allgemeine" wies ihre Leser
immerhin darauf hin, dass sie ihre Informationen nur von der Nato beziehe.
Suggestive Techniken
Wer den Frieden noch wollte, wurde als Milosevic-Freund
diskreditiert. Frank Wichert vom Institut für Sprach- und Sozialforschung
der Universität Duisburg beschrieb die Mechanismen. Ein "wir" wurde
konstruiert, "die internationale Gemeinschaft". Grafiken in Printmedien
machten aus der menschlichen Katastrophe eine technische Angelegenheit.
Der Konsument fühlte sich als Experte, arbeitete an der "Lösung
eines Prob-lems" mit. Er sah vom Radar nicht erfassbare Nato-Hubschrauber,
diese "Unverwundbarkeit" stärkte seinen Selbstwert. Handelte es sich
um Albaner, waren die Grafiken oft mit einer Frau mit Kind unterlegt, bei
den Serben mit einem Mann.
Auch jugoslawische Medienvertreter kamen in Linz zu Wort.
Petar Janjatovic vom regierungskritischen Sender RTV Pancevo meinte: "Wir
sind während des Wahlkampfes am niedrigsten Niveau des Journalismus
angelangt." Aber, betonte Janjatovic, "jeder lügt" und sprach damit
die wohnzimmertauglichen Bilder von CNN an. Jovanka Matic vom regierungsunabhängigen
Netzwerk AIM zitierte einen serbischen Humoristen: "Krieg ist die Fortsetzung
des Fernsehens mit anderen Mitteln." Matic kritisierte die Nato: "Ohne
Krieg hätte Milosevic die bevorstehende Wahl verloren."
Loquais Thesen
Im öffentlichen Meinungsbild erscheint der Kosovo-Konflikt
als eine kontinuierliche Abfolge einseitig von der serbisch-jugoslawischen
Seite ausgehender Gewalt. Diese Sicht ist zu undifferenziert und unzutreffend.
Die Kosovo-Albaner schufen die Grundlagen für ihren
Sieg durch eine sehr geschickte Politik, womit sie die Nato als mächtigen
Verbündeten in den Bürgerkrieg zogen.
Die serbische Führung sah das Kosovo-Problem verengt
in der Eliminierung und Bekämpfung einer kleinen Gruppe albanischer
Terroristen.
Der Abzug der OSZE-Mission aus dem Kosovo lag nicht -
wie offiziell behauptet - darin begründet, dass sie ihren Auftrag
nicht erfüllen konnte, sondern war eine Maßnahme im Zuge der
Kriegsvorbereitungen der Nato.
Besonders groß war die Aussicht auf eine politische
und friedliche Lösung von Mitte Oktober bis Anfang Dezember 1998.
Die jugoslawischen Sicherheitskräfte hielten sich an die Vereinbarungen,
insbesondere auch an die Waffenruhe. Dagegen setzten die Albaner ihren
Kampf für die Unabhängigkeit des Kosovo fort.
Die Politik der rot-grünen Koalition und der deutschen
Regierung ist geprägt durch ein alles überragendes Bestreben,
keine Zweifel an der Kontinuität deutscher Außenpolitik aufkommen
zu lassen.
Der deutsche Bundestag wurde im Verlaufe seiner Befassung
mit dem Kosovo-Konflikt von den jeweiligen Regierungen lückenhaft,
einseitig und falsch unterrichtet. Für schwer wiegende Entscheidungen
wie die über Krieg und Frieden scheint die Informationsbasis der Abgeordneten
nach objektiven Maßstäben völlig unzureichend gewesen zu
sein.
Eine herausragende Rolle für die Rechtfertigung des
Luftkrieges der Nato-Staaten und als Beleg für eine perfide Politik
der Belgrader Führung spielte in Deutschland der "Hufeisenplan", ein
angeblicher Plan der jugoslawischen Führung zur Vertreibung der albanischen
Bevölkerung aus dem Kosovo.
Zurück
zum Anfang der Seite
Zurück
zur Übersichtsseite Presse zum Fahnenflucht-Prozeß
|